1. Ja, klar!
Die Spontanreaktion lässt keinen Zweifel: Klar sind die Grünen links, in einigen Fragen sehen sie sich zurecht in der Nachfolge der Sozialdemokratie, der ursprünglichen „Linken“.
Im Nationalrat sitzen sie auch noch immer links der Mitte, woher die Bezeichnungen „links“ und „rechts“ ursprünglich ja herrühren.1
Nimmt man die zentralen linken Forderungen aus den Gründerjahren der sozialdemokratischen Parteien in den Blick, fällt auch die überlegte Antwort eindeutig aus:
- Mindestlöhne
- liberale Demokratie
- Sozialstaat
- Arbeiterbildung
- Frauenwahlrecht
- starke staatliche Steuerungselemente in der Wirtschaftspolitik
Alle diese Forderungen werden heute mit Vehemenz von den Grünen vertreten, stärker als von sozialdemokratischen Parteien.
Die Grünen sind jene Partei, die heute ohne Umschweife Mindestlöhne fordert, während die SPÖ im Gefolge der Gewerkschaft Kollektivverträge allgemeinen Ḿindestlöhnen vorzieht und daher in der Frage Mindestlöhne zuletzt eher zögerlich auftrat. Wobei die Frage, ob ein allgemeiner Mindestlohn die Abschlüsse von guten Kollektivverträgen behindert, durchaus spannend zu diskutieren wäre.
Die liberale Demokratie steht heute durchaus auf dem Prüfstand. Rechte Law-and-order-Politik postuliert einen Gegensatz von Sicherheit und Freiheit, der dazu führt, dass Freiheitsrechte zugunsten einer durchaus fragwürdigen Sicherheit eingeschränkt werden. Am augenfälligsten ist dies im Feld der staatlichen Überwachung (Kameras im öffentlichen Raum, Vorratsdatenspeicherung, Verknüpfung von Daten), wo sich die Konzepte „Ich habe nichts zu verbergegen“ und „Privatsphäre ist eine Voraussetzung für Freiheit“ gegenüber stehen. Die Grünen stehen hier klar für Privatsphäre und Datenschutz.
Hier wäre ein Exkurs zur Frage „Was macht uns sicher?“ angebracht, dazu jedoch nur zwei Gedanken, welche auch die grüne Haltung zum Sozialstaat illustrieren. Die großen Lebensrisiken bestehen heute zum einen in den Feldern, wo der Sozialstaat in Form des Gesundheitssystems und mit einer Vielzahl von Geldleistungen in Situationen von Arbeitslosigkeit, Krankeheit, Alter etc. stützt. Zum anderen bestehen sie in Unglücksfällen, wo wir auf die Hilfe anderer Menschen angewiesen sind, z.B. bei Verkehrsunfällen. Zivilisiertes Eingreifen und Helfen auf Basis des Solidaritätsgedankens (ich helfe, denn ich kann morgen in der Situation sein, Hilfe zu benötigen) sind da notwendig. Die Tendenz zu Fahrerflucht auf Straßen und Pisten ist ein Grund zur Sorge. Damit ist auch das grüne Bekenntnis zum Sozialstaat formuliert, Veränderungen werden nur mit dem Ziel gerechterer Leistungen gefordert.
Verunsichernde Ereignisse wie Terroranschläge sind im Vergleich zu Lebensrisiken und zu Unfällen extrem selten und nicht zu verhindern.
Die Bildung ist eines von drei Schwerpunktthemen der Grünen, dem sie sich verstärkt seit Beginn der 2010er Jahre widmen. Was für die SPÖ die Gesamtschule war, ist für die Grünen die gemeinsame Schule der 10 – 14-Jährigen und die gute vorschulische Bildung und Betreuung: Umfassende und gleiche Bildungszugänge für alle stellen für die Grünen ein zentrales Element der Gerechtigkeit und der wirtschaftlichen Prosperität dar.
Die Gleichstellung der Geschlechter fand ihren (natürlich nicht nur) symbolischen Höhepunkt bereits in der Durchsetzung des Frauenwahlrechts 1919. Dass wir 98 Jahre später höchst ungleiche Zugänge zu politischem und wirtschaftlichem Einfluss und immense Unterschiede z.B. bei Pensionshöhen von Frauen und Männern vorfinden, zeigt, dass die Grünen zurecht vor wenigen Monaten eine Bundesfrauenorganisation gegründet haben, um an der Gleichstellung der Geschlechter wirksamer arbeiten zu können. Die SPÖ scheint ihren Anspruch in diesem Feld aufgegeben zu haben. Dass wichtige Exponentinnen der Gleichstellung wie Barbara Blaha oder Sonja Ablinger der Partei den Rücken gekehrt haben, scheint die Parteiführung nicht zu stören.
In der Wirtschaftspolitik der SPÖ ist die erstaunlichste Abkehr von linken Werten und Zielen zu sehen. Die Kurzcharakteristik „Genosse der Bosse“ – ursprünglich auf den SPD-Bundeskanzler Gerhard Schröder gemünzt – hätte auch auf Franz Vranitzky zugetroffen, der die Wettbewerbsfähigkeit der österreichsichen Wirtschaft in den Vordergrund stellte und nichts dabei fand, Investitionsschutz für Konzerne gegen Staaten sowie Deregulierung zu verhandeln (damals im Rahmen des gescheiterten Abkommens MAI – Multilateral Agreement on Investment, das seine Fortsetzung in GATS und jetzt in TiSA fand). Noch Vranitzkys Vorgänger Sinowatz und Kreisky stellten Vollbeschäftigung ins Zentrum und sahen in staatlicher Regelung der Wirtschaft nichts Böses sondern eine Notwendigkeit.
Die Grünen formulieren ihre wirtschaftspolitische Position am vernehmlichsten im Zusammenhang mit den so genannten Freihandelsverträgen: „Nur fairer Handel ist freier Handel“. Das zielt klar auf Regeln für den globalen Handel ab, die kurz gefasst verlangen, dass es freien Handel im Rahmen von weltweit geltenden Standards im sozialen und ökologischen Bereich geben soll. In der Konsequenz könnten z.B. Produkte aus Ländern, wo gewerkschaftliche Organisation der Arbeitenden nicht möglich ist, nicht zollfrei gehandelt werden.
Die linke Positionierung grüner Wirtschaftspolitik zeigt sich auch in ihren Forderungen für eine neue Raumordnung, die z.B. das Horten von Grundstücken unmöglich machen soll.2 Sie sehen hier eine klare Notwendigkeit der Regulierung eines versagenden Marktes, der droht, das Grundbedürfnis Wohnen für viele Menschen unerschwinglich zu machen.
2. Irgendwie auch nicht
Die Grünen sind nicht nur links, sie sind auch konservativ. Auf dem politischen Schlachtfeld stellen Linke und Konservative sich zwar gegeneinander, doch es bleibt eine spannende Frage, inwieweit die ökologisch-konservative Haltung emanzipatorisch im Sinn von „links“ sein kann.
Mit ihrer ideologischen Herkunft in der Friedens- und Umweltbewegung muss es die Grünen nicht stören, als konservativ beim Bewahren der Lebensgrundlagen sowie des Friedens zu gelten.
In der jetzigen Situation von grünen Regierungsbeteiligungen in sechs Bundesländern zeigt sich ein weiterer bewahrender Zug der Grünen: Einsparungsmaßnahmen beim Sozialstaat stellen sie sich entgegen. Das aktuellste Beispiel dafür ist die bedarfsorientierte Mindestsicherung, wo grüne und rote Soziallandesrät/innen und ein roter Sozialminister für eine gemeinsame gesetzliche Regelung stritten gegen eine schwarze Soziallandesrätin und die Bundes-ÖVP, welche die wenige Jahre zuvor errungene bundesweite Vereinheitlichung der Sozialhilfe preisgaben zugunsten von bescheidenen Einsparungsmöglichkeiten. Der Kampf um den status quo ist zweifellos ein Kern konservativer Ideologie.
Die Grünen setzen sich für den Erhalt der bisher erreichten Standards ein, auch was das staatliche Zusammenwirken betrifft, für einen „Aquis communautaire“. Ob eine solche Haltung als konservativ im Gegensatz zu links bezeichnet werden kann, ist Geschmacksache.
3. Menschenbild und Weltordnung
Wie unterscheidet sich ein grünes Menschenbild und Vorstellungen einer möglichen Weltordnung von jenem der rechten politischen Gegner, von der ÖVP oder von der FPÖ?
Ein konservatives Menschenbild geht davon aus, dass „ein Wolf der Mensch dem anderen Menschen ist, wenn man sich nicht kennt“,3 weswegen er der Einbindung in eine Ordnung, d.h. eine strukturierte Gesellschaft bedarf. Staat, Recht, Hierarchie, Autorität, Sitte, Kultur und Religion sind demnach funktional für eine humane Gesellschaft. Weiters sieht sich der konservative Mensch in einer solchen Struktur an den ihm gebührenden Platz gestellt, der ihm aufgrund seiner Leistung zusteht (und sei es die Leistung der Vorväter, wenn es sich um einen Erben handelt). Wer nicht den angestrebten Platz in der Gesellschaft errungen hat, der hat sich nicht genügend angestrengt.
Die Welt – geprägt von Militärbündnissen, ergänzt durch diesen angepasste Handelsstrukturen – dagegen ist aus konservativer Sicht wenig einzuwenden. Wirtschaftlich schwach entwickelten Staaten bietete sich nach dieser Sichtweisee die Möglichkeit, das Lohngefälle zu nützen, um eine Entwicklung und eine Verbesserung der Lebensumstände in diesen Staaten auf den Weg zu bringen. Die Ideologie der internationalen Deregulierung und des zurückgedrängten Staates ist seit etwa 60 Jahren dominant, doch regen sich auch auf konservativer Seite Zweifel, ob die hierarchische Weltordnung mit Dominanz der USA und anderer schwergewichtiger Nationalstaaten nicht durch einen schrankenlosen Kapitalismus untergraben wird, zum Schaden konservativer Eliten.
Das Menschenbild der FPÖ ist – soweit existent – ein burschenschaftliches, das die Menschen in Rassen und Völker einteilt, die von einnander getrennt bleiben sollen und das als zentrale Werte Ehre, Freiheit und Vaterland formuliert. Doch sind die ideologischen Konturen der FPÖ verschwommen und von einem Krisenempfinden dominiert, das – manchmal gesteigert zur Panik – sofortige Aktion erfordert: „Wir gegen die anderen“. Die Krise verlangt sofortige Maßnahmen gegenüber den „anderen“, auch wenn dies eigenen Werten (Freiheit) entgegensteht.
Internationalismus kann auf Basis der völkisch-biologistischen Sichtweise nur sehr eingeschränkt funktionieren, z.B. im Konzept vom „Europa der Vaterländer“. Der burschenschaftliche Freiheitsgedanke zeigt sich dann und wann noch, wenn es um staatliche Eingriffe zuungunsten persönlicher Freiheitsrechte geht (z.B. beim Datenschutz).
Freihandel widerspricht dem nationalen Gedanken und prägt das Empfinden, Grenzen nicht kontrollieren zu können, weswegen er rundweg abgelehnt wird.
Dagegen mage jede_r Grüne_r sein Menschenbild und ihre Weltsicht stellen. Allerdings lässt es sich auch auf Basis der grünen Grundwerte bestimmen, insbesondere, wenn deren chronologische Folge mitbedacht wird. Kurz gefasst kann das grüne Menschenbild auch im Spektrum zwischen Verantwortung (Enkeltauglichkeit), Emanzipation (Menschenrechte) und Selbstbstimmung (liberale Demokratie) verortet werden. Diese Sichtweise verlangt eine Weltordnung mit Bündnissen muskulöser Sozialstaaten, die für gleichberechtigte Bildungszuzgänge sorgen, für solidarische Vorsorge und für ein Aufholen wirtschaftlicher Benachteiligung. Das können nur Menschen anstreben, die sich ihrer Verantwortung für die Gestaltung der Welt bewusst sind.
Weitere Beiträge: https://www.gbw.at/oesterreich/gruene-debatte/sind-die-gruenen-links/
1 Französische Nationalversammlung 1789: La Gauche = revolutionär-egalitär, la Droite = gemäßigt. Dass die Mandatar/innen des Team Stronach links der Grünen sitzen und die Sozialdemokrat/innen immer noch ganz links, zeigt, dass es sich da um ein historisches Konzept handelt. Das gilt auch für die rechte Hälfte des Nationalrats, wo die ÖVP ganz rechts und die FPÖ rechts näher der Mitte sitzt. Im deutschen Bundestag ist das Bild stimmiger, auch wenn dort die Grünen links-mittig, allerdings rechts der SPD sitzen (https://www.bundestag.de/parlament/plenum/sitzverteilung_18wp).
2 https://salzburg.gruene.at/themen/wohnen/neues-gesetz-mit-viel-potenzial-politische-einigung-auf-eckpunkte-des-raumordnungsgesetzes
https://vorarlberg.gruene.at/themen/bauen-wohnen/alles-was-recht-ist-wohnen-muss-billiger-werden
3 Titus Maccius Plautus, Asinaria (Eseleien): lupus est homo homini, non homo, quom qualis sit non novit