Die Digitalisierung ist gekennzeichnet durch die unendliche Reproduzierbarkeit sowie die Verarbeitbarkeit jeglicher Art von Daten und durch den einfachen, kostengünstigen Zugang zur Informationswelt. Dadurch wird jede Information – egal welcher Qualität, egal wie privat – auffindbar und zum verfügbaren Rohstoff.
A. Datensammeln
Dabei ist ein riesiges Gefälle entstanden. Denn große Datensammler wie Google oder Facebook, sowie eine unüberschaubare Anzahl weiterer Unternehmen (Microsoft, Verizon, Amazon, Apple, Garmin, …) haben Zugang zu großen Mengen an privaten Daten (Verhalten, Vorlieben, Beziehungen, Eigentum, Gesundheit…), die zugleich einen unübersehbaren Wissensschatz darstellen. Andere Unternehmen und Organisationen sowie einzelne Menschen verfügen nur über bescheidene Daten- und Informationsressourcen, während sie gleichzeitig Lieferant*innen von Wissen sind, über das sie nicht verfügen können. Sie können Websites anschauen, einkaufen und Informationen suchen und ordnen – ohne jedoch die sie betreffenden Datenflüsse kontrollieren zu können.
Die Digitalisierung ist durch neue Geschäftsmodelle der Datengiganten gekennzeichnet, die, am Umfang ihrer Übergriffe und Profite gemessen, einer neuen ‚ursprünglichen Akkumulation‘ gleichkommen. Aktuell ist diese Plattformökonomie so gut wie unreguliert und scheint unbeherrschbar zu sein (Shoshana Zuboff: Im Zeitalter des Überwachsungskapitalismus, 2019).
Karte des Internets: Matt Britt, CC BY 2.5 https://creativecommons.org/licenses/by/2.5
Europa wird dabei kolonisiert. Kaum ein europäisches Unternehmen nimmt am Goldrausch der globalen Daten-Unternehmen teil. Europäischer Rechtsbestand (Datenschutz, Wettbewerb…) wird dabei außer Kraft gesetzt, auch wenn der EuGh durch wegweisende Urteile auf europäischen Regeln und Grundrechten besteht und deswegen die Abkommen Save Harbour und Privacy Shield gekippt hat. Die Abkommen hielten nicht, was sie versprachen. Dennoch wildern die Datensammler weiterhin in Europa. Verbote zu verhängen scheint ein Tabu zu sein, das gefährde die internationalen Wirtschaftsbeziehungen, heißt es.
Die Auswirkung des Data-Mining auf unser Alltagsleben und auf politische Entscheidungen ist enorm. Im Alltag verspüren wir die Machtkonzentration bei großen Konzernen durch zunehmende Alternativlosigkeit bei Kaufentscheidungen (Musik, Software, Bücher…), in der ständigen ‚Versorgung‘ mit Kaufangeboten und -vorschlägen und im ausgeliefert Sein an Unternehmen, die unsere Alltagswerkzeuge (Rechner, Smartphone) manipulieren. Politische Entscheidungen werden durch Datensammler und -analytiker gelenkt (Obama, Trump, Brexit). Der Einfluss der Datenunternehmen fällt zwangsläufig zugunsten neoliberal agierender politischer Persönlichkeiten und Gruppierungen aus, da Deregulierung und ‚rechtsfreie‘ Räume die Basis für das unbeschränkte Agieren der Datengiganten ist.
Eine gemeinsame Öffentlichkeit für den politischen Diskurs ist uns längst abhanden gekommen.
B. Das Softwaremonopol
Die ganze Welt ist abhängig von den Software-Werkzeugen eines einzigen Unternehmens. Die öffentliche Verwaltung, private Unternehmen, Gesundheitseinrichtungen, die öffentliche Bildungslandschaft, Privatpersonen…
Obschon es vielfach gleichwertige Werkzeuge auf dem Open Source Software „Markt“ gibt, ist das öffentliche Leben an das Agieren eines Konzerns gebunden: Lizenzen müssen gekauft und aufwändig verwaltet werden, Rhythmen der Erneuerung werden erzwungen, Ausschreibungen – egal ob für Software Tools oder für Jobs – nennen als technische Basis bzw. als notwendige Skills die Kenntnis von Microsoft Programmen.
Neuen Wegen der öffentlichen Verwaltung wie in Wien oder in München wurde der Boden unter den Füßen weg gezogen – sei es durch finanzielle Angebote, sei es durch intransparente Prozesse. Erstaunlich, dass das Europäische Wettbewerbsrecht eine derartige Situation zulässt.
Die Europäischen Institutionen haben eine Reihe von Initiativen gesetzt, um die Situation zu verbessern. Das zuständige Kommissionsmitglied Margrethe Vestager sagt: „The fact is, trust in technology is not as high as it should be. Europeans have legitimate concerns, our job is to listen to these concerns and engage on with them, on substance.“ 2
Projekte wie der Digital Markets Act, der demnächst verabschiedet werden soll, oder die europäische Technologieplattform Joinup3 sind Versuche, wieder Boden unter die Füße zu bekommen. Doch eine echte Industriepolitik dazu ist nicht in Sicht. Dabei geht es über die Ressource „Wissen“ um eine gestaltende Rolle in der aktuellen und in der künftigen Welt.
C. Einfache Schlussfolgerung
Deshalb wollen wir Grüne für diesen so entscheidenden Lebensbereich der Digitalisierung gesellschaftliche Rahmenbedingungen gestalten und implementieren, die den Menschen, sein individuelles Wesen, seine Rechte als Bürger*in und unsere politische Organisation in Form demokratischer Rechtsstaaten respektieren und in den Mittelpunkt stellen.
D. Welche Fragen und Aufgabenstellungen ergeben sich
1. Das Internet
Schnelles und neutrales Internet, Breitbandversorgung auf Kabelbasis, freies W-LAN mit geringer elektromagnetischer Feldstärke in öffentlichen Räumen (Bahnhöfe, Marktplätze, Veranstaltungsorte…)
2. Europäische Technische Infrastruktur
Europäische Soft- und Hardware, technische Normen weiter entwickeln und durchsetzen, quelloffene Softwarelösungen bevorzugen (keine intransparenten Datenabflüsse möglich, mehr Sicherheit), plattformneutrale Ausschreibungen (Office 365 und MS-Teams für Schulen ohne Ausschreibung?), Datenschutz nach europäischen Rechtsstandards sowie Open Source als Voraussetzung in der öffentlichen Beschaffung. Klare Versorgungsaufträge für Betreiber von Dateninfrastruktur. Aufbau europäischer Cloud Infrastruktur (z.B. GaiaX Projekt).
3. Datenschutz durchsetzen
Ein Mensch unter ständiger Beobachtung ist nicht frei. Eine flächendeckende Erfassung von Daten samt Dauer-Analyse und algorithmischer Verhaltensmodulation ist mit einer liberalen Demokratie nicht vereinbar.
Die Grundrechte gelten analog und digital. Die DSGVO und das Datenschutzgesetz sind um- und durchzusetzen. Die Nutzung einer Vielzahl gängiger (amerikanischer) Softwareprodukte und Plattformen ist aus Sicht des Datenschutzes nicht sicher (viele Google-Produkte, Facebook, Twitter, Videokonferenz-Tools wie Zoom, MS Office, Slack...) Datensicherheit gibt es durch quelloffene Software, wo Datenströme nicht zu verbergen sind (wie etwa LibreOffice, OnlyOffice, Zimbra, Nextcloud, Firefox, Thunderbird, BigBlueButton, Peertube, Matrix, RocketChat, ...).
Für den staatlichen Bereich (Terrorismusbekämpfung etc.) heißt dies: Keine Vorratsdatenspeicherung, für den Unternehmensbereich: Durchsetzung des Datenschutzes unter Berücksichtigung der Ungleichheit der Vertragsverhältnisse wie im Konsument*innenschutz.
4. Gegen unfairen Wettbewerb
Monopolartige Strukturen und vielfältige Möglichkeiten zur Steuervermeidung verhelfen globalen Konzernen zu unüberschaubarer Informations-, Markt- und Datenmacht sowie zu ungerechtfertigten Wettbewerbsvorteilen gegenüber kleineren Firmen. Die Weiterentwicklung des Wettbewerbs- und Kartellrechts, welches Größe und Umsätze der Konzerne begrenzt und Verstöße durch starke Aufsichtsbehörden effektiv sanktioniert, ist deshalb unumgänglich.
Als (untypisches) Beispiel mögen die Vergleichsportale dienen: Vergleichsportale haben großen Einfluss auf Kauf- und Buchungsentscheidungen. Wenn deren Methoden nicht offen gelegt sind, ist dem unfairen Wettbewerb Tür und Tor geöffnet.
5. Das ist längst nicht alles
Und es wird immer mehr. Es wird auch nicht einfacher. Doch angepackt werden kann das Thema überall - im Privaten, wichtiger ist aber eine Durchsetzung zunächst auf allen Ebenen der Verwaltung, auch auf der kommunalen. Der Weg ist noch weit. Doch die deutsche Regierung hat in ihrem Regierungsprogramm immerhin schon interessante Ziele vorgegeben.